PorträtsMahmut Yüksel

Bei einem Besuch in der Heimat seines Vaters entdeckt Mahmut Yüksel seinen Ehrgeiz.„Sie rieten mir von einem Wechsel ans Gymnasium ab. Ich ging trotzdem.“

Dass ich heute in Harvard forschen kann, hat auch mit einem Erlebnis aus meiner Jugend zu tun. In den Sommerferien nach der siebten Klasse bin ich mit meinen Eltern, die 1994 nach Deutschland gekommen sind, in die Türkei gefahren. Der von Kurden bewohnte Südosten des Landes ist die Heimat meines Vaters. Ich war ein Jahr zuvor von der Hauptschule auf die Realschule gewechselt, dort waren meine Noten nicht besonders gut.

Wie schwer es erst für meine Eltern als Zuwanderer in Deutschland war, hatte ich noch nicht begriffen. Bei dem Türkeibesuch habe ich dann gesehen, unter welchen Bedingungen Schüler dort lernen müssen. Die Dorfschule war klein und eng, die Lehrer nicht gut ausgebildet. Da habe ich erstmals realisiert, dass es ein Privileg ist, das Schulsystem in Deutschland zu besuchen. Und dass ich mehr als eine Identität habe. Das hat mir die Augen geöffnet.

Ich wurde ehrgeiziger und akzeptierte nicht mehr, wenn man mich wegen meiner sozialen Herkunft unterschätzt. Zum Glück hatte ich einen tollen Klassenlehrer, der mich gefördert hat. Er half mir bei meiner ersten Stipendienbewerbung. Nach der Realschule saß ich bei der Studienberatung. Sie rieten mir von einem Wechsel ans Gymnasium ab, weil dort schon so viele Jugendliche mit Migrationshintergrund gescheitert seien. Ich sollte lieber einen handwerklichen Beruf lernen.

Ich ging trotzdem auf ein Gymnasium und machte einen sehr guten Abschluss, auch wenn mir meine Eltern schulisch schon lange nicht mehr helfen konnten. Ich aber wollte mein Wissen weitergeben. Also gab ich Nachhilfe in Naturwissenschaften und brachte Kindern Selbstverteidigung bei. Als ich Stipendiat der Deutschlandstiftung Integration wurde, hatte ich in Hamburg gerade ein Medizinstudium begonnen. Später kam noch das Studium der Informatik hinzu, denn ich wollte mich auf den Bereich der Neurowissenschaften spezialisieren.

Momentan arbeite ich an Harvard Universität an meiner medizinischen Doktorarbeit. Ich untersuche Patienten, die sich in der Frühphase einer Psychose befinden. Was mir in den USA auffällt: Hier wundert sich niemand, wenn ich erzähle, dass ich Deutscher bin. Vielleicht weil die USA schon immer ein Einwanderungsland waren?

In Harvard habe ich mich mit dem Bürgerrechtler Martin Luther King beschäftigt. Es wäre schön, wenn es auch in Deutschland derartige Persönlichkeiten gäbe, die Vorbild sind und für Vielfalt stehen. Bis dahin bin ich gerne Teil einer Generation junger Menschen mit Migrationshintergrund, die ein Bindeglied zwischen Geflüchteten und der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland sein könnte.