Vor kurzem habe ich meine Bachelorarbeit in politischer Philosophie geschrieben. Darin bin ich der Frage nachgegangen, inwieweit sich die rationale Meinungsbildung der Menschen durch die sozialen Medien verändert. Welche Rolle und welche Funktionen ein Dialog haben kann, beschäftigt mich schon seit längerem. Sei es an der privaten Wirtschaftsuniversität, an der ich studiere, in Stiftungsgruppen, denen ich angehöre oder auch innerhalb meiner Familie und unter Freunden.
Stets befinden wir uns in einer pluralistischen Umgebung und sehen uns Meinungen ausgesetzt, die wir nicht teilen, bisweilen sogar so unverständlich finden, dass wir wütend werden. In Zeiten, in denen die Gräben in der Gesellschaft immer tiefer werden und Meinungen scheinbar extremer, ist es daher von größter Wichtigkeit, miteinander in den Dialog zu treten, sich gegenseitig anzuhören und vernünftig Argumente auszutauschen. Meine Mutter ist mit der Einwanderungswelle in den 70er-Jahren aus den Kurdengebieten in der Türkei nach Deutschland gekommen. Sie hat meinen Vater, der aus politischen Gründen nach Deutschland flüchten musste, erst hier kennengelernt. In meiner Erziehung standen Werte wie Freiheit, Gleichberechtigung und Toleranz im Vordergrund.
Dennoch habe ich in zwei Welten gelebt: In Deutschland, meiner Heimat. Und in der Türkei, der Heimat meiner Eltern. Da es an meinem Gymnasium wenige Kinder mit Migrationshintergrund gab und ich mich mit den Problemen beider Welten auseinandersetzen musste, habe ich angefangen, Fragen zu stellen. So habe ich mich auf den Weg der Identitätssuche gemacht.
Lange habe ich mich gefragt: Wer bin ich und woher komme ich? Ich konnte mich mit keiner Nation vollends identifizieren. Ich habe etwas gebraucht, um zu begreifen, dass sich meine Identität nicht mehr anhand von Ländergrenzen abbilden lässt.
Heute bin ich mir bewusst: Ich habe kurdische, türkische und deutsche Charaktereigenschaften. Sie müssen nicht zwangsläufig in eine Schublade passen. Ich weiß, dass ich schlicht Lizge bin und das genügt mir. Ich habe in letzter Zeit auch viel über politische Ereignisse der Gegenwart nachgedacht: den IS-Terror, die Flüchtlingskrise und die Veränderung unserer Gesellschaft. Bei den politischen Gesprächen ist mir klar geworden, dass wir stets ein Bewusstsein für die Menschen brauchen, die unter Krieg und Vertreibung leiden. Wir dürfen unsere Menschlichkeit und das, was unser Menschsein ausmacht, nicht verlieren.
Das ist Dialog: Die Fähigkeit nachzudenken und sich in die Lage des Gegenübers zu versetzen. Dabei haben mir auch die Gespräche mit meinen Mitstipendiaten im GEH DEINEN WEG-Programm geholfen. Ohne diesen Austausch wäre ich nicht der Mensch geworden, der ich heute bin.