Als Arbeiterkind kam es für mich nicht in Frage, Kreatives Schreiben zu studieren. Ich musste etwas Handfestes studieren wie Lehramt. Während meines Studiums habe ich damit angefangen, an einem Text zu schreiben, in dem es um einen Generationenkonflikt in einer Migrantenfamilie geht.
Auf Empfehlung eines Freundes habe ich das Manuskript an eine Literaturagentin geschickt, die von meinem Schreiben und meinem Text überzeugt war. Im März 2018 ist mein erster Roman erschienen: „Beschreibung einer Krabbenwanderung“. Es geht um eine kurdische Familie, die sich voneinander entfremdet hat und auseinanderdriftet – die Erzählerin ist eine emanzipierte, junge Frau, die zwischen ihren Freiheitsbestrebungen und dem Pflichtgefühl gegenüber ihrer Mutter und der jüngeren Schwester hin- und herpendelt.
Im Alter von neun Jahren bin ich mit meiner Familie aus dem irakischen Teil Kurdistan ins Ruhrgebiet gekommen. Wir hatten über ein Jahrzehnt einen geduldeten Aufenthalt. Diese Art der Ungewissheit und Unsicherheit hat unsere Zukunftsvorstellungen sehr geprägt. Das würde ich gerne den Leuten antworten, wenn sie mich fragen, warum meine Eltern kein Deutsch können – sie hätten sich ja offenbar nicht integriert.
Aber ich will auch nicht mit jedem über so sensible Themen wie die Ängste meiner Familie sprechen. Uns Kindern fiel es leichter uns zu „integrieren“ – auch, wenn man für einige Leute nicht genug integriert sein kann. Bei einem Auslandssemester in den USA ist mir erst aufgefallen, wie deutsch ich geworden bin: Wie distanziert und manchmal skeptisch den Menschen gegenüber.
Die gleiche Skepsis erfährt meine Mutter täglich, weil sie ein Kopftuch trägt. Ich weiß nicht, ob Literatur für mehr Verständnis sorgen kann, ob das die Aufgabe von Literatur ist, mir war es wichtig, dass Menschen mit meiner Geschichte in der deutschen Gegenwartsliteratur repräsentiert werden. Auf der Lesereise sind Leserinnen mit Migrationshintergrund auf mich zugekommen und haben mir gesagt, dass sie sich in der Geschichte wiederfinden. Momentan schreibe ich an meinem zweiten Roman, zwischen den Schreibphasen arbeite ich als Vertretungslehrerin. Denn mir sind beide Berufe wichtig.
Ich habe das Gefühl, dass es gerade für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund wichtig ist, dass ich ihre Konflikte nachvollziehen kann, ohne sie gleich zu bewerten. Es sind nicht immer kulturelle Probleme, die Menschen aus ihren Herkunftsländern mitbringen. Es können auch persönliche Probleme sein, bei denen sie Unterstützung brauchen. Und sehr oft haben sie keine Probleme, man macht diese Menschen zu einem Problem.