Mein Vater war vor meiner Geburt Solotrompeter beim Orchester der Nationaloper in Bukarest. Als Musiker hatte er überhaupt die Möglichkeit, das damals kommunistische Rumänien zu verlassen. Anfang der 1980er konnte er für eine Konzertreise in den Westen reisen. Er spielte in Jazz-Clubs in Brüssel, ehe er mit einem Zug nach Deutschland floh, einen Asylantrag stellte und schließlich nach mehr als zwei Jahren seine Frau nachholen konnte. Meine Eltern sind aus der Diktatur geflüchtet, weil sie ihren Kindern ein Leben in Freiheit ermöglichen wollten. Ich bin in Helmstedt in Niedersachsen aufgewachsen, quasi im Vorgarten der DDR. Dann fiel im November 1989 die Mauer und nur einen Monat später verfolgten wir vor dem Fernseher die Revolution in Rumänien.
Als kleines Kind dachte ich oft: Wir sind anders. Ich wusste aber natürlich nicht warum. Später habe ich auch Fälle von Ausgrenzung erlebt. Trotzdem wurde meine Familie das, was man wohl ein Paradebeispiel für Integration nennt. Mein Vater wurde Leiter der Kreismusikschule in Helmstedt, hat dort viele Ensembles gegründet und junge Leute zu Profimusikern ausgebildet. Uns Kindern hat er gesagt: Ihr müsst überzeugende Leistung erbringen. Also lautete die Parole: Lernen, lernen, lernen. In mir wuchs so über die Jahre das Gefühl von Verantwortung, die Lebensleistung meiner Eltern weiterzutragen.
Ich habe das Gymnasium als Jahrgangsbeste abgeschlossen und danach mit Stipendien in Heidelberg und Rom studiert. Dort habe ich den akademischen Geist regelrecht aufgesogen. Nach meinem Magister-Abschluss habe ich in Linguistik promoviert, weil mich das Dreiecksverhältnis von Sprache, Medien und Macht interessiert hat. Am Beispiel der rumänischen Revolution von 1989 untersuchte ich in meiner Doktorarbeit, wie gesellschaftspolitische Ereignisse sprachlich gefasst und konstruiert werden. Für mich war das Thema auch wie eine Spurensuche in die Heimat meiner Familie. Bis heute fehlt mir so auch etwas, wenn ich nicht regelmäßig in Rumänien bin.
Nach der Promotion bin ich zu „ebm-papst“, weltweit führender Hersteller von Ventilatoren, gegangen und habe dort in der Unternehmenskommunikation gearbeitet. Im Jahr 2016 wechselte ich zu einer internationalen PR-Agentur in Berlin, die sich auf den Themenbereich der Digitalisierung spezialisiert hat. Ich bin also dabei, wenn über die Welt von Morgen nachgedacht wird. Daneben spiele ich im Publikumsorchester des Konzerthauses Berlin Trompete. Es ist ein extrovertiertes Musikinstrument. Wer immer es spielt, drückt damit auch aus: „Hallo Welt, hier bin ich“. Es ist vielleicht die Lebensaufgabe meiner Familie: Mit Musik über die Grenzen von Sprachen hinweg zu kommunizieren.